Die Sterbephasen
Das Sterben ist für viele Angehörige und Pflegekräfte immer eine große Herausforderung. Neben dem Loslassen und dem Verlust des geliebten Menschen liegt dies vermutlich auch an der Ungewissheit, was beim Sterben genau passiert. Dieses Mysterium ist unheimlich und man fühlt sich hilflos. Doch auch wenn wir nie zu 100% wissen werden, was dabei genau passiert, lässt sich der Sterbeprozess zumindest physiologisch und psychologisch erklären und viele Symptome verstehen. Und wie Sokrates sagte: „Niemand kennt den Tod, es weiß auch keiner, ob er nicht das größte Geschenk für den Menschen ist. Dennoch wird er gefürchtet, als wäre es gewiss, dass er das schlimmste Übel sei.“
Die bekannteste Einteilung des Prozesses stammt von der Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross. Sie identifizierte fünf Phasen, welche jemand durchläuft, der die Nachricht einer todbringenden Erkrankung erhält. Diese werden nachfolgend dargestellt.
1. Nicht-wahr-Haben-Wollen
Unmittelbar nach dem Erhalt der negativen Nachricht setzt eine Verdrängung ein. Informationen werden ignoriert, es werden Zukunftspläne geschmiedet und es wird besonderen Wert auf das äußere Erscheinungsbild gelegt. Je weiter die Erkenntnis des Unabänderlichen voranschreitet, desto mehr erfolgen der Rückzug und die Isolation, bevor es zur Wut kommt. Versuchen Sie nicht, dem Sterbenden die Irrationalität seines Verhaltens vor Augen zu führen. Sie würden Angst und Abwehrverhalten verstärken. Stattdessen warten Sie den weiteren Verlauf ab.
2. Zorn
Es erfolgt eine aggressive Auseinandersetzung mit der Situation, was durch ungerechtfertigte Vorwürfe an die Umgebung und die Äußerung von Unzufriedenheit gekennzeichnet ist. Diese Phase ist für die Angehörigen besonders belastet. Bedenken Sie immer, dass die Vorwürfe nicht ihnen persönlich gelten, sondern versuchen Sie, diese auszuhalten und Verständnis zu empfinden.
3. Verhandeln
Der Betroffene nimmt sein Schicksal nun an, hofft aber auch auf eine positive Wendung. Beispielsweise wird vermehrt gebetet und Versprechen getätigt: „Wenn ich noch weiter leben darf, werde ich…“. Auch das Hoffen auf einen medizinischen Durchbruch ist charakteristisch. Versuchen Sie, den Sterbenden wieder auf eine rationale Ebene zu führen, aber ohne ihn durch objektive Fakten zu überfordern.
4. Depression
Nachdem die unausweichliche Wahrheit akzeptiert wurde, erfolgt oftmals eine Phase, in der dem Sterbenden bewusst wird, dass er sich von seinen Lieben und alles was ihm lieb war trennen muss. Das Leben wird noch einmal rekapituliert und Situationen, die bereut werden, kommen zum Vorschein. Diese Phase ist von Trauer und Niedergeschlagenheit gekennzeichnet. Seien Sie da und versuchen Sie, ihre Gegenwart zu vermitteln, ohne durch oberflächliche Äußerungen Aufmunterung erreichen zu wollen. Haben Sie ein offenes Ohr, eine haltende Hand und zeigen sie Verständnis für die Angst.
5. Zustimmung
Das Schicksal wird nun angenommen und Emotionen sind eher gering ausgeprägt. Der Sterbende ist erschöpft und empfindet den Tod mittlerweile als Erlösung. Die Ablösung von sozialen Bindungen beginnt, zeitgleich erfolgt eine hohe Sensibilisierung für die Umgebung. Sie müssen jetzt die Ablösung akzeptieren und auch iIhrerseits Abschied nehmen und bejahen, dass Sie noch weiterleben dürfen.1
Eine weitere Einteilung und Beschreibung des Sterbeprozesses stammt von Monika Renz. Die von Kübler-Ross definierten Phasen erfasst sie in der Phase davor. Anschließend bezieht sie sich mehr auf das Erleben des Sterbens als solches.
Monika Renz begleitetet über 800 Patienten im Hospital St. Gallen beim Sterben und formulierte folgende These: „Im Zugehen auf den Tod lässt sich bei vielen Sterbenden ein sog. Übergang beobachten, der wesentlich in einer Wandlung ihrer Wahrnehmungsweise besteht [….]. Alles Ich hafte; was ICH wollte, dachte, fühlte, alle auf das Ich bezogene Wahrnehmung und alle Bedürfnisse im Ich treten in den Hintergrund. Eine andere Welt, ein anderer Bewusstseinszustand, andere Sinneserfahrungen und dementsprechend eine andere Erlebnisweise rücken näher-all dies unabhängig von Weltanschauung und Glauben. Sterben ist ein Prozess.“
Davor
Diese Phase geht mit dem Bewusstsein einher, dass man demnächst sterben wird. Neben der Klärung formaler Angelegenheiten (z. B. Testament), rücken auch familiäre Klärungen in den Vordergrund. Das Revuepassieren lassen des eigenen Lebens führt zu dem Bedürfnis, noch Angelegenheiten zu besprechen. Darüber hinaus geht diese Phase bei vielen mit Ohnmacht, Übelkeit, Juckreiz, abnehmender Mobilität und wiederholt auftretenden Schmerzen einher. Gläubige Personen hadern mit ihrem Gott, da sie nicht verstehen, warum er ihnen dies antut, wo sie doch ein Leben lang fromm und anständig lebten. Diese Etappe des Sterbens ist insbesondere für die Angehörigen schwer auszuhalten, da sie an der Situation nichts ändern können, sondern neben ihrem eigenen Schmerz noch akzeptieren müssen, dass der geliebte Mensch es aushalten muss. Zur Unterstützung ist hier eine gute Palliativmedizin hilfreich, manche fühlen sich besser, wenn sie eine Patientenverfügung ausfüllen, um sich nicht so ausgeliefert zu fühlen. Da der Sterbende langsam die Kontrolle verliert, fühlt er sich oftmals sicherer und besser aufgehoben, wenn Fachleute ihn „führen“ und begleiten. Der Sterbende selbst kann in dieser Situation nur das Unvermeidliche akzeptieren. Solange er sich ans Leben klammert, ist der Körper verhärtet, sobald er die Situation annimmt, entspannt er sich und auch die Medikamente können besser wirken.
Hindurch
Das Hindurch beschreibt einen Prozess, der sich bei einigen Sterbenden mehrmals wiederholt, wo hingegen das Sterben selbst nicht zwangsläufig damit einhergeht. Ähnlich der Geburt dauert das Hindurch Minuten bis Stunden und geht mit körperlichen Reaktionen wie Frieren, Schwitzen, Schaudern und Urangst einher. Manchmal wird ein Tunnel oder eine Situation beschrieben, in der sich der Sterbende gegen Tiere oder apokalyptische Mächte wie den Teufel, einhergehend mit Schwärze, zur Wehr setzen muss. Da diese Phase oftmals zu verzerrten, angsterfüllten Mimiken führt, ist es für Angehörige (insbesondere für Kinder) manchmal ratsam, sich in der Phase zurückzuziehen. Professionelle Sterbebegleiter können den Sterbenden durch diese schwere Phase begleiten, zusätzlich können Medikamente lindernd wirken. Es kommt auch vor, dass der Sterbende das Zeitgefühl verliert und seinen Angehörigen vorwirft, ihn stundenlang alleine gelassen zu haben, obwohl man nur fünf Minuten das Zimmer verließ.
Danach
Auch aus dieser Phase kann der Sterbende mehrmals zurückkommen, allerdings ist dieser Zustand ein sehr schöner. Nach dem anstrengenden Kampf erreicht der Sterbende nun ein Zustand der Leichtigkeit, Ruhe, Gelassenheit und Freiheit. Frei von Prägung, Gier, Angst und Zwang. Für manche Angehörige ist jetzt der Zeitpunkt, wieder ans Sterbebett zu treten, wohingegen andere sich erst jetzt gestatten zu gehen. Wichtig ist zu begreifen, dass Sterbende ihren Zeitpunkt ganz individuell wählen. Manchen warten bis alle da sind, manche warten auf eine bestimmte Person und wieder andere möchten diesen Schritt alleine gehen und sterben in den fünf Minuten, in denen die Angehörigen mal das Zimmer verlassen. Dies ist auf keinen Fall persönlich zu nehmen, sondern der besonderen Situation geschuldet.2
Bedenken Sie, dass die Sterbephasen sich abwechseln können und jeder Prozess ganz individuell ist.
Falls Sie mit kleinen Kindern über die Thematik des Todes sprechen möchten, empfiehlt sich ggf. der Einsatz kindgerechter Bücher. Auf ihrem Blog Quirlimum hat sich die Autorin Sandy drei verschiedene Exemplare angeschaut. Sie beschreibt kurz deren Inhalt und bewertet diese anschließend. Es lohnt sich, zusätzlich diesen Artikel zu lesen.
Quellen:
2Renz, Monika (2014): Hinübergehen. Was beim Sterben geschieht ; Annäherungen an letzte Wahrheiten unseres Lebens. 5. Aufl. Freiburg im Breisgau: Kreuz-Verl.
1Wirsing, K. (2000): Psychologisches Grundwissen für Altenpflegeberufe. Ein praktisches Lehrbuch. 5., vollst. überarb. und erw. Aufl. Weinheim: Beltz Psychologie-Verl.-Union (Altenpflege).
Zimmermann, Margitta meint
Ein wirklich interessanter Artikel. War mir vorher nicht bewusst, dass auch das Sterben ein immer gleich verlaufendes Prozess ist.
Sandy meint
Danke liebe Peggy für deine „Verlinkung“ und deinen informativen Beitrag. Noch heute gucken sich meine Kinder gern diese Bücher an und grade das „Abschied von der kleinen Raupe“ Buch steht hier weiterhin noch hoch im Kurs.
Wir malen uns gemeinsam aus als welches Tier wir „danach“ wieder als Familie zusammen kommen werden. Das Gefühl was sie mit dem Tod eines geliebten Menschen verbinden ist somit nicht nur die Traurigkeit, sondern auch etwas schönes, es geht dem Menschen gut „danach“.
Ich mag diese Vorstellung sehr!
Liebe Grüße,
Sandy (Quirlimum)
Pflegenaut meint
Liebe Sandy,
bitte entschuldige meine späte Rückmeldung, aber die letzte Zeit war wirklich anstrengend. Ich finde die von Dir beschriebene Vorstellung sehr schön. Ich persönlich finde folgendes Zitat von Sokrates sehr tröstend: „Niemand kennt den Tod, es weiß auch keiner,
ob er nicht das größte Geschenk für den Menschen ist. Dennoch wird er gefürchtet, als wäre es gewiß, dass er das schlimmste Übel sei.“
Laura Krone meint
Ich möchte mal eine Seebestattung. Gut zu lesen, dass am Ende der Trauerphasen immer die Akzeptanz kommt. So ist die Atmosphäre auch entsprechend.